Shugaa Nashwan war ein kleiner Junge von fünf Jahren, als er mit Teilen seiner Familie aus dem Jemen nach Deutschland kam. Sein Vater fand in Wiesbaden eine neue berufliche Herausforderung, und für Shugga, der an einer Augenkrankheit leidet, waren die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten hierzulande viel besser. In diesem August ist der 23 Jahre alte Psychologie-Student anstatt zu den Paralympics nach Tokio in eigener Mission in sein Geburtsland gereist: In dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land, das jüngst von einer Überschwemmungskatastrophe heimgesucht wurde und in dem sich Corona und Cholera rasant ausbreiten, beabsichtigt das Mitglied des Hessenteams der Sportstiftung Hessen den Anstoß zum Bau eines Sportzentrums zu geben. Ein bisschen Frieden und Freude möchte der EM-Bronzemedaillen-Gewinner (2019/17) an die Menschen zurückgeben.
Zwischen Freude, Trauer und Befremdung
Ein Show-Kampf mit dem jemenitischen Judoka Ali Khousrof, der bereits an Olympischen Spielen teilnehmen konnte und ebenfalls für Tokio qualifiziert ist, soll der Höhepunkt eines Sportfestes sein, dass Nashwan und sein Team unter dem Motto „Little Olympia“ dieser Tage vor Ort aus der Taufe heben. AnkerMit der Veranstaltung, die voraussichtlich in einem großen Zelt stattfinden wird, soll für das langfristige Hilfsprojekt ein Grundstein gelegt werden. „Da die Olympischen Spiele in diesem Jahr ausfallen, tragen wir sie als ‚Little Olympia‘ im Jemen aus. Wir möchten dem Land, das so von Krankheit und Krieg geplagt ist, eine Friedensbotschaft senden“, sagte Shugaa Nashwan vor seiner Abreise. Einige Tage später berichtete er der Sportstiftung Hessen via einer Instagram-Nachricht, dass bereits private Unterstützer gefunden wurden, die dem Vorhaben ein finanzielles Fundament geben möchten. Doch Nashwan, der in der Judo-Bundesliga künftig für den JC Rüsselsheim starten wird, hat gleichwohl sehr „gemischte Gefühle“: Auf der einen Seite seien da eine Vertrautheit, das Glück, die Verwandtschaft in der Hauptstadt Sanaa wiederzusehen. Doch das Land seiner Vorfahren, in dem während des „Arabischen Frühlings“ 2011 eine spürbare Aufbruchsstimmung geherrscht habe, sei ihm auch fremd geworden. „Ich bin traurig, so viel Leid hier zu sehen. Außerdem muss man bei allem, was man sagt, aufpassen, dass keine ‚falschen‘ Namen genannt werden oder die ‚falsche‘ Musik gespielt wird. Überall läuft die Musik der Rebellen, und jeder hier hat ein Gewehr auf dem Schoß. Es ist wie ein schlummernder Krieg“, schreibt Nashwan, der sich persönlich auch sehr intensiv mit philosophischen und gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzt. Sehr gerne möchte er auch, dass wenigstens „kleine Mädchen“ am Sportfest teilnehmen dürfen und anschließend in das Projekt eingebunden werden. Doch es ist eine Absichtserklärung, ein Versuch in einem Land, in dem Geschlechtergerechtigkeit praktisch nicht existiert. Nashwan: „Frauen einzubinden, das ist im Jemen sehr schwer.“
Schon bald, wenn er und sein Team von ihrer nicht ganz ungefährlichen Reise hoffentlich unbeschadet zurückgekehrt sein werden, werden wir mehr wissen und auf der Homepage über den Stand der Dinge berichten.