Zu erfahren, dass der Bobsport in Hessen schon seit mindestens 100 Jahren existiert, ist bereits einigermaßen erstaunlich. Doch was sich in jüngster Zeit abspielt, das grenzt an ein Wunder: Mit der Pilotin Kim Kalicki (23) wurde im März dieses Jahres eine Wiesbadenerin Vizeweltmeisterin, mit Issam Ammour hat der kleine, 1946 gegründete Hessische Bob- und Schlittensportverband (HBSV), einen Doppeljunioren-Weltmeister in seinen Reihen und mit Vanessa Mark eine Anschieberin, die beim Weltcupauftakt in Sigulda (Lettland) für eine Sensation gesorgt hat: Gemeinsam mit Olympiasiegerin Mariama Jamanka gewann sie das 1. Rennen der Saison. Und mehr noch – von aktuell 15 aktiven Hessen gehören neun dem Nationalkader an, darunter u.a. auch Christian Hammers und Malte Schwenzfeier, die sich international ebenfalls schon bewährt haben. Dass Hessen bei der letzten DM in Altenberg 2019/20 nicht nur das kleinste, sondern auch das erfolgreichste Bundesland war, ist fast schon logisch.
Erfolgstandem Fischbach / Restle
Diese ungemein positive Entwicklung basiert vor allem auf dem Einsatz von zwei Personen: Erica Fischbach, die langjährige Präsidentin des HBSV, und Landestrainer Tim Restle ergänzen sich und arbeiten Hand in Hand an der Fortschreibung des Erfolgsmodells. „In jeglicher Hinsicht gehen wir auf die individuellen Bedürfnisse unserer Athleten ein. Das geht hin bis zur Wohnungssuche, und manchmal bin ich auch Seelentrösterin“, sagt Fischbach, die stolz darauf ist, den Bobsport in ihrer Heimatstadt Wiesbaden so weit nach vorne gebracht zu haben: „Ich wollte zeigen, dass es doch geht, auch wenn viele Leute anfangs den Kopf geschüttelt haben.“ Doch mit einer Anschubfinanzierung von der Wiesbadener Spielbank und dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) konnte es losgehen, das Projekt nahm langsam Gestalt an. Darüber hinaus ist die Verbandspräsidentin ihren einflussreichen Unterstützern sehr dankbar, darunter Thomas Neu (Geschäftsbereichsleiter Leistungssport im lsb h/ Geschäftsführer Sportstiftung Hessen) sowie - vom OSP-Hessen - Werner Schaefer (Leiter) und Bernd Brückmann.
Als Verein fiel die Wahl auf die TuS Eintracht Wiesbaden, unter deren Dach 2014 der Bob- und Athletik-Stützpunkt Wiesbaden als zusätzliche Abteilung ausgerufen wurde. Seither geht es steil bergauf, wobei Fischbach für die Athletinnen und Athleten im Sinne einer „Dualen Karriere“ stets nach Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung bzw. finanziellen Einbettung Ausschau hält. So werde versucht, die Leute etwa zur Bundeswehr zu bringen oder auch in die Sportfördergruppe der Hessischen Polizei. Die frischgebackene Weltcupsiegerin Vanessa Mark wiederum durchläuft derzeit im Hessischen Innenministerium eine Ausbildung im Verwaltungsbereich.
Damit die hessischen Bobsportler zum Training künftig nicht mehr so häufig nach Oberhof oder Willingen fahren müssen, was ohne Unterstützung durch die Sportstiftung Hessen noch schwieriger umsetzbar wäre, treibt die umtriebige Verbandspräsidentin nun auch den Bau einer Anschubstrecke voran. Da befindet sie gerade auf Gelände-Sichtung und hat sowohl das Wiesbadener Sportamt wie auch den Sportausschuss und das Land auf ihrer Seite. In unmittelbarer Zukunft fällt das Hauptaugenmerk jedoch wieder auf den Sport: Bei der WM im Februar in Altenberg wollen die Hessen auch in dieser Saison Edelmetall gewinnen. Und dann kommt das Olympia-Jahr 2022. Fischbach: „Einen Athleten nach Peking zu bringen, wäre ein Ziel. Wenn alles ganz optimal läuft könnten es auch vier sein. Das wäre ein riesen Hype.“